Rechts Links – ein Ritual

Rechts Links - ein Ritual
Schöppingen, Minden 2015 and anytime upon request.
Pictures: Olferman

Antoanetta Marinov ist eine Wanderin. Frei von Rucksack und robustem Schuhwerk. Doch erklimmt sie weder Berge noch läuft sie kilometerweit querfeldein. Sie schlendert. Bedächtig umrundet die zierliche Frau das Künstlerdorf; läuft über das Pflaster an der Feuerstiege und wandelt auf den Wegen zwischen den Gebäuden. Ihr Gepäck: ein Tablett voller bunter Kleinigkeiten. Ihre Intention: Ein Tauschgeschäft. Am Wochenende ist die Stipendiatin mit ihrem Projekt „links – rechts“ gestartet.

Eine graumelierte Feder, ein heller Stein, der silbrige Verschluss einer Cola-Dose oder ein herzförmiges Plastikteil – die Gegenstände in beiden Kästen sind vielfältig, willkürlich angeordnet und haben eines gemeinsam: „Es sind alles Fundobjekte, die ich über Jahre von der Erde aufgehoben und gesammelt habe“, sagt Antoanetta Marinov. Die Konzeptkünstlerin arbeitet seit August in ihrem temporären Schöppinger Atelier. In dieser Zeit ist die Idee gereift, diese Dinge in einem Projekt einzusetzen. Der Ausblick auf die niedrige Steinmauer auf dem Platz am Künstlerdorf war erster Impulsgeber. „Mauern beunruhigen mich“, sagt Marinov. „Sie sind Sinnbild persönlicher Erfahrungen und schlechter Nachrichten in den Medien.“ Doch anderseits auch positiv behaftet. „Muretto“, das italienische Wort ihrer Muttersprache übersetzt sie mit „Mäuerchen“, ein Treffpunkt für Verabredungen und Gespräche. Die Symbiose dieser Gegensätze ermögliche den Dialog. Mauern gerieten ins Schwanken. Es gäbe Parallelen zwischen den Künstlern und den Flüchtlingen im Ort, findet Marinov: Beide seien Gäste der Gemeinde; die einen eingeladen, die anderen angekommen. „Links und rechts der Mauer“, nennt sie das: gleich und doch anders.
„Links“ und „rechts“ steht auch in großen Lettern auf dem vorderen Rahmen des Holzgestells, das Antoanetta Marinov vor sich trägt. Einem ursprünglichen ‚Bauchladen’ ähnlich, befestigt mit einem Gurt, der quer über beide Schultern gelegt ist. Doch dieses Wort mag die Künstlerin nicht. Das klinge nach Kommerz, es ginge nicht um Geld. „Ich nenne es mein ‚tragbares Display.“ Die Künstlerin möchte tauschen. Seit vergangenem Wochenende wandert sie auf den Wegen oder hockt auf dem schmalen Mäuerchen und wartet. Auf Begegnungen mit Menschen, die inne halten und sich Zeit nehmen möchten. Sich auf ihr Projekt einlassen wollen.

„Wählen sie aus dem rechten Kasten ein Objekt aus, das ihnen zusagt“, bittet sie ältere Herren, neugierige Mädchen, Paare oder Flüchtlinge. „Beladen sie den Gegenstand mit einem negativen Gedanken, der sie belastet.“ Das Utensil wandert anschließend in ein schwarzes Holzkästchen und Miranov verspricht: „Ich kümmere mich um Ihre Sorge.“ Wie genau, verrät sie nicht. Nun ein Griff in die linke Seite. Wieder fällt die Wahl auf ein Fundstück. Ein positiver Gedanke. „Was wünschen sie sich?“ Lautlos fließen Hoffnungen und Träume in Feder, Stein oder Plastikteil. Diesmal bleibt das Objekt als Erinnerung im Besitz des Wünschenden. Und der Obolus? Nein, Geld verlangt Marinov nicht in ihrem Projekt. Trotzdem bittet sie um eine Gabe. Wörter, Sätze, Gedichte, Gedanken – von den Menschen anonym niedergeschrieben in einem linierten Schulheft. „Das ist mein Geschenk“, sagt sie. „Ich lese es erst am Abend und freue mich den ganzen Tag darauf.“ Sabine Sitte